Sechs NationalitätenDie ersten Aufzeichnungen über Sládkovičovo (bis 1947 Diószeg) finden sich in den Schriften von König Béla IV. aus dem Jahr 1252. Der Name der Siedlung leitet sich von einem auf dem Gebiet der Gemeinde liegenden „Walnuss Wald“ her. 1301 hatte die Familie von Milóš Dudvágy, dessen Vorfahren schon länger hier ansässig waren, die Herrschaft über die Gemeinde inne. 1337 wurde Péter Orros zum neuen Herrn, dem durch Ludwig I. der Besitz erteilt wurde. 1530 wurde die Gemeinde zum Opfer osmanischer Angriffe, wobei auch die Umgebung zerstört wurde. Laut einem Register aus dem Jahr 1553 befanden sich hier 22 bewohnte Häuser im Besitz der Ofener Klarissen, was bis zur Abschaffung dieses Ordens durch König Joseph II der Fall war. Danach ging die Gemeinde in den Besitz der Kirche über, von der sie die Familie Erdődy kaufte und später die Familie Esterházy.
1582 wurde die Gemeinde zur Stadt erhoben. Im 17. Jahrhundert zog sich der Königsweg (Via régia) durch sie hindurch. Die Stadt hatte das recht Kirmessen zu veranstalten und Wegzoll zu verlangen. In dieser Zeit standen hier zwei wichtige Gebäude: die Kirche und das Schloss. Als der Aufstand von Franz II. Rákoczy stattfand, wurde die Gemeinde von dem Feldherrn Quidó Stahremberg unterstützt, was aber nicht verhindern konnte, dass 1709 fast alles abbrannte.
1786 siedelte Kaiser Joseph II. in der Gemeinde deutsche Bauern und Handwerker an. Später entwickelten sich zwei selbstständige Gemeinden: Deutschdioseg und Ungarisches Diószeg (Németh Diószeg und Magyar Diószeg). Den Eszterházys folgte die Familie Zichy als Besitzer.
1850 wurde die Eisenbahn von Bratislava nach Budapest gebaut, welche auch durch Diószeg verlief. Dies führte anschließend zur wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Region. Die jüdische Familie Kuffner und die österreichischen Bankiers Gebrüder Gutmann errichteten eine Zuckerraffinerie, welche 1867 ihren Betrieb aufnahm. Diese Zuckerraffinerie und der Wirtschaftskomplex von Karl Kuffner de Diószeg veränderte die Gemeinde so, dass sie in ganz Europa als Zentrum der Österreich-Ungarischen Zuckerverarbeitung bekannt wurde. 1870 wurde Diószeg wieder zur Stadt.
Zwei Weltkriege, zwei Wirtschaftskrisen, die Deportation der Juden 1944, die Deportation der Deutschen 1946, die Deportation der Ungarn 1947 nach Ungarn und nach Tschechien und die anschließende Umsiedlung der Slowaken aus Ungarn veränderten die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung stark.
Sládkovičovo wurde am 1. Januar 1983 wieder zur Stadt. 1986 wurde die Gemeinde Malá Mača angeschlossen, welche 2002 wieder selbstständig wurde.
Die ungarische Minderheit
Ursprünglich war die Gemeinde hauptsächlich von Ungarn bewohnt und andere Nationalitäten waren nur vereinzelt vertreten. Die ursprünglichen Bewohner widmeten sich der Landwirtschaft und dem Handwerk. Erst im 18., 19. und 20. Jahrhundert kamen Einwohner anderer Nationalitäten hinzu.
Mit der Errichtung der Zuckerraffinerie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen unter Anderen Experten aus Ungarn nach Diószeg, die sowohl im Betrieb der Raffinerie als auch in der Landwirtschaft tätig waren, viele von ihnen wurden zu bedeutenden Persönlichkeiten in Ungarn.
1947 wurde ein Teil der ungarischen Einwohner aufgrund angeblicher Zusammenarbeit mit dem ungarischen faschistischen Regime, nach Ungarn und ins Sudetenland ausgesiedelt, aus welchen man vorher die deutschen bewohner aussiedelte. Mehrere Ungarn mussten sich der Reslovakisierung unterziehen um am Geburtsort bleiben zu können.
Heute erklären sich 31,7% der Bewohner der ungarischen Nationalität zugehörig und diese Zahl sinkt stetig.
Die deutsche Minderheit
Die erste große Veränderung in der ethnischen Zusammensetzung erfolgte 1787 mit der Ankunft deutscher Siedler aus dem Breisgau, aus Württemberg, Bamberg, Mainz, Lahr, Trier und Fulda. Nach Diószeg kamen 62 Familien, 321 Personen, hauptsächlich Bauern und Handwerker.
Die Einheimischenn nannten sie wegen ihres Ursprungs „Schwaben“. Das Zusammenleben war oft problematisch, was schließlich zur Folge hatte, dass man sich auf die schon erwähnten zwei Gemeinden aufteilte. Die deutschen Siedler behielten ihre nationale Identität und hatten eine eigene Schule sowie Selbstverwaltung.
In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg radikalisierten sich die Aktivitäten dieser Minderheit und die örtlichen Deutschen schlossen sich der faschistischen Organisation der deutschen Minderheit in der Slowakei an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Teil der deutschen Einwohner nach Deutschland deportiert und es blieben hier nur noch Menschen, die in gemischten Ehen lebten und mit der Reslovakisierung einverstanden waren.
Nach dem Krieg assimilierte sich diese Minderheit und die Umstände der Nachkriegszeit ließen sie fast ganz verschwinden. Heute ordnet sich fast niemand mehr der deutschen Nationalität zu.
Die Geschichte der deutschen Minderheit in Diószeg/Sládkovičovo ist von der Archivarin Hildegarde Pokreis im Buch Nemecká kolonizácia Sládkovičova/Diószegu v 18. storočí (Deutsche Kolonisation der Stadt Diószeg im 18. Jahrhundert) sehr detailliert aufgearbeitet worden. Es wurde, gefördert von der Slowakischen Regierung – Programm für Kultur und Nationale Minderheiten, 2016 vom OZ Ponvagli publiziert, ISBN: 978-80-972129-2-6. Gerade das Erscheinen dieses Buches entfachte ein Interesse für die Schicksale der Deutschen in Diószeg.
Die jüdische Minderheit
Die Ankunft der Juden in Diószeg ist mit der Zuckerraffinerie verbunden, die von zwei jüdischen Familien gegründet wurde: der Familie Kuffner aus Lundenburg und der Familie Gutmann aus Lepinik, die in Wien eine Bank betrieben.
Da es in dieser Region an Experten für den Betrieb der Raffinerie und der Lebensmittelindustrie fehlte, warb die Familie Kuffner Fachkräfte jüdischer Herkunft aus Lundenburg, aber auch aus der ganzen österreich-ungarischen Monarchie an. Die jüdische Gemeinde war in Diószeg nie besonders zahlreich, aber ihre Mitglieder waren meist sehr gebildet, finanzstark und hatten hohe Posten inne.
Das Ende dieses goldenen Zeitalters kam mit dem Aufstieg des Faschismus. Diószeg wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Teil von Ungarn, dadurch wurde das Schicksal der örtlichen Juden durch die ungarischen Gesetze geregelt. Das bedeutet, dass anders als im slowakischen Staat, wo die Deportationen schon 1942 einsetzten, die 124 Juden aus Diószeg erst im Mai 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
99 Juden aus der Stadt Diószeg fielen dem Holocaust zum Opfer. Der kleinen Gruppe von Überlebenden erging es sehr schlecht. Sie kehrten zwar nach Hause zurück, aber ihren Besitz hatte man gestohlen, in ihren Häusern wohnten Fremde, in ihre Arbeit nahm man sie auch nicht wieder auf und so zerstreute sie sich in der Welt. Die jüdische religiöse Gemeinde in Diószeg wurde 1949 aufgelöst.
Heute erklärt sich niemand mehr der jüdischen Nationalität zugehörig und die Geschichte dieser erfolgreichen Gemeinde erzählen nur noch die ehemals bedeutenden Gebäude des Schlosses, der Zuckerraffinerie, der Mühle und der jüdische Friedhof, wo sich ein Denkmal für die 99 Holocaust-Opfer aus Diószeg befindet.
Die Geschichte der jüdischen Einwohner wird von den Autoren Tomáš Lang, Ludmila Pártošová, Hildegarda Pokreis, Eva Sudová, Lenka Sudová, Wram und Lórant Talamon im Buch Spomienky na Diószeg, história židovskej komunity v Diószegu/ Sládkovičove (Erinnerungen an Diószeg, Geschichte der Juden in Diószeg/Sládkovičovo) behandelt. Es wurde, gefördert von der Slowakischen Regierung – Programm für Kultur und Nationale Minderheiten, 2016 vom OZ Ponvagli publiziert, ISBN: 978-80-972129-1-9.
Die tschechische Minderheit
Die Ankunft der Tschechen in Diószeg hing vor allem mit der Entstehung der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg zusammen. Die neue Republik musste die staatliche Verwaltung, wo bis dahin ungarische Angestellte tätig waren, austauschen. Es kamen neue Angestellte, Polizisten, Soldaten, Bahnarbeiter...
Auch nach Diószeg kamen mehrere Tschechen, aber ihr Zusammenleben mit den Einheimischen war problematisch, da diese mit Ungarn sympathisierten. Sie blieben jedoch nur 20 Jahre, da sie nach der Ausrufung des slowakischen Staates 1939 ihre Posten und ihre Häuser verlassen mussten. Die meisten kehrten nach Tschechien zurück und es blieben wahrscheinlich nur jene, die in gemischten Ehen lebten. Deshalb haben wir über das Leben der Tschechen in Diószeg nur wenige Informationen und führen in der Publikation nur Jan Mikloško, einen Piloten der RAF, auf.
Heute ordnen sich weniger als 0,5% der Einwohner der tschechischen Minderheit zu, aber wahrscheinlich ist niemand von ihnen ein Nachfahre der Tschechen aus der Zwischenkriegszeit.
Die slowakische Minderheit
Wir verwenden hier den Begriff Minderheit, da bis 1980 die Slowaken in Diószeg/Sládkovičovo zur Minderheit gehörten, selbst nach der verpflichtenden Reslovakisierung der Nachkriegsjahre. Zwischen 1880-1910 erklärten sich in Diószeg 9-20% der Einwohner der slowakischen Nationalität zugehörig, die in diesem Zeitrahmen stetig sank.
Nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 kamen Slowaken aus der slowakischen Gemeinde Pitvaroš im südlichen Ungarn nach Sládkovičovo. Es sollte für sie eine Heimkehr in die Slowakei sein, die ihre Vorfahren im 18. Jahrhundert verlassen hatten. Doch es war für sie eine große Enttäuschung, als sie in eine nahezu rein ungarische Gemeinde kamen und ihnen Häuser und Äcker der längst ausgesiedelten Ungarn und Deutschen zugeteilt wurden.
1948 nahm man ihnen ihren Besitz, aber diese fleißigen Pitvaroscher verharrten nicht in Selbstmitleid, sondern arbeiteten auch in den neuen Verhältnissen weiter und zogen eine neue Generation von Bürgern auf. Sie nutzten vor allem die Möglichkeit in ihrer Muttersprache zu lernen und zu studieren, die sie in Ungarn nicht gehabt hatten. Viele der Umgesiedelten wurden wie auch ihre Nachfahren bedeutende Persönlichkeiten in der slowakischen Wissenschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft.
Heute erklären sich 64 % der Einwohner der slowakischen Nationalität zugehörig, aber die meisten dieser Slowaken kamen während des Sozialismus nach Sládkovičovo um Arbeit zu finden, und auch nach der Samtenen Revolution zogen viele junge Familien aus verschiedenen Teilen der Slowakei hierher.
Die Minderheit der Roma
Es gibt praktisch keine historischen Forschungsarbeiten über die Ansiedelung der Roma in der Region und nur minimale Informationen über das Leben der Roma in der südlichen Slowakei. Das liegt an deren häufigen Ortswechseln, die es erschwerten, sie zu registrieren und auch daran, dass lange nicht definiert wurde, wer überhaupt Roma ist. Weder in den Volkszählungen von 1880–1910 noch der von 1930 wurden Roma aufgeführt, aber wir wissen, dass es in dieser Zeit in der Nähe des Friedhofes eine Romasiedlung gab, deren Bewohner sich mit traditionellen Handwerken befassten, auch waren mehrere Musikanten darunter.
Über ihr Leben schrieb der Roma Autor Ladislav Tavali zwei Bücher: Nemenná krv/O rat, pe naparuďol (Unveränderliches Blut) und Život rómskych detí/Romane čhavórengeró dživibe (Das Leben von Roma-Kindern). Die Romasiedlung wurde 196? aufgelöst. Ein Teil der Roma hat sich der Mehrheitskultur angepasst und führen ein unauffälliges, bürgerliches Leben. Aber auch heute leben am Stadtrand und der Kaserne bei der Zuckerraffinerie Gruppen von Roma die kaum integriert sind.
Die Mannigfaltigkeit der Bewohner ist mit der Zeit verschwunden und paradoxerweise verschwand damit auch die multiethnische Toleranz.
Im Städtchen, welches sich im 19. und 20. Jahrhundert als Beispiel für die Toleranz verschiedener Nationalitäten und Religionen erwies, werden heute auch extremistische Meinungen laut. Bei den Wahlen 2016 erhielt die rechtsextreme Partei Ľudová strana Naše Slovensko von Marian Kotleba 104 Stimmen (4,63 %), was wir als alarmierend betrachten.
Mit dieser Publikation, deren Hauptgedanke die ethnische und religiöse Toleranz der Stadt Diószeg/ Sládkovičovo im geschichtlichen Kontext veranschaulicht, wollen wir einen Beitrag zum Kampf gegen rassistische, ethnische und religiöse Xenophobie leisten.